Der Bildhauer Christian Rösner

Betrachtet man die ganze Breite von Christian Rösners noch jungem Œuvre, von der privaten Kleinplastik bis zum Auftrag für den öffentlichen Raum, so kann man auf seinem künstlerischen Weg konsequente Entwicklungen und Konstanten feststellen. Zentrales Thema und formaler Anlass seine Schaffens ist die Figur. Dabei erscheinen seine Werke dem Betrachter einerseits immer vertraut, andererseits irritieren sie in der formalen Ausprägung oder im Spiel mit den Maßstäben. Denn Rösner bezieht sich zwar auf traditionelle Bildhauerei, reflektiert diese jedoch zeitgemäß und mitunter in durchaus kritischer Auseinandersetzung. Allerdings ist er auch unabhängig von modischen zeitgeistorientierten Strömungen und bezieht damit eine eigenständige Position zwischen Tradition und Erneuerung, die seinen Arbeiten einen besonderen Reiz gibt. Die abstrahierten Figuren, grob aus dem Holz gesägt oder geschnitzt bzw. schnell modelliert, überzeugen dabei in ihrer essentiellen und kompakten Formauffassung in jedem Format, von den kleinsten farbig gefassten Polyesterfiguren bis zu den überlebensgroßen Holzskulpturen, die allerdings thematisch wie formal nie monumental wirken, sondern bei aller Ernsthaftigkeit die Assoziation von Leichtigkeit und spielerischer Einstellung aufkommen lassen.

Wenn Rösner auch dem Naturvorbild folgt, so geht es ihm nicht um eine mimetische Wiedergabe der vorhandenen Welt. Das Gegen- ständliche dient ihm als Anlass und Zeichen für grundsätzlichere Aussagen, die aufgrund der Formfindung wirken sollen. Diese Entwicklung der Form ist bei Rösner ein eigenständiger Prozess, dem alles andere untergeordnet wird: Die Formkontraste von großen Flächen und kleineren Details, von Oberflächenstrukturen und Volumen, von grob verletzenden Schnitten und geschlossenen Ebenen, von haptischen und optischen Werten nehmen alle Bezug zu der Großform, wie es Rösner selbst immer wieder betont. Seinen Formbegriff fasst er allerdings weiter, als es die bloße formale Kategorie erlauben würde, und übersteigt damit das faktisch Gegebene der skulpturalen Ausformung. Denn alle Kategorien und Grundbegriffe plastischen Gestaltens werden in diesem Terminus subsumiert: Form entwickelt sich zu Volumen, Volumen definiert den Raum in einem vom Künstler geordneten System, und der so entstehende Raumkörper wird durch Bewegung erfahrbar gemacht. Form bedeutet dem Künstler also Beziehung zwischen raum- plastischen Elementen und Werten. So erscheint auch der Verzicht auf Nebensächlichkeiten, Affektdarstellungen o.ä. nicht nur inhaltlich bedingt, sondern auch formal wichtig; denn auf diese Weise lenkt nichts von den Grundelementen der Plastik ab, und folgerichtig werden die formalen Mittel zu inhaltlichen Aussagen. Denn Rösner führt beides - Formales wie Inhaltliches - auf das Ursprüngliche, das Archetypische zurück. Ihm geht es thematisch um die Darstellung allgemein menschlicher Seinsbedingungen, um das Wesentliche und Charakteristische der menschlichen Existenz, weshalb er jede Individualisierung vermeidet. (Lediglich bei seinen Porträts rückt er naturgemäß von dieser Typisierung und Verallgemeinerung ab.) In diesem Zusammenhang sieht er auch das Tier, das in seinem Œuvre eine wichtige Rolle spielt. Ob in Ergänzung oder in dialektischer Gegenüberstellung zum Menschen, ob als Einzelwesen oder in entfremdender und Gegensätze nicht überbrückender Zusammen- stellung, das Tier symbolisiert das Instinkthafte und Ursprüngliche, das auch psychische und physische Urzustände und Urängste des menschlichen Daseins oder verloren gegangene Naturhaftigkeit verdeutlichen soll. Damit wird die Figur Träger einer seelischen Verfasstheit und gleichzeitig autonomer Ausdrucksträger, dessen Wirkung sich aus den Grundkonstanten plastischen Schaffens ergibt.

Neben diesen plastischen Werten ist Rösner ebenso die starke Materialgebundenheit der Werke, die noch von den Spuren der Herstellungstechnik verstärkt wird, von größter formaler wie inhaltlicher Wichtigkeit. Im Material - meist Holz und Bronze, aber auch Ton und Polyester - und der Materialge-rechtigkeit sucht Rösner den unmittelbaren Ausdruck künstlerischen Schaffens, wobei er das Material als dichte, eigenwertige und eigenständige Materie auffasst. Die stilisierten Figuren sind mithin fest gefügt und architektonisch gebaut. Am charakteristischsten für Rösner sind die Holzarbeiten mit Kettensäge, die ihm eine schnelle unmittelbare Arbeitsweise erlaubt. Die grob herausgesägten Formen entstehen zwar nach Ideenskizzen, die Rösner zunächst in kleinen Wachs- bozzetti niederlegt und in Bronze gießt, doch erst die Ausführung gibt der Form die endgültige Gestalt, da er bei der Umsetzung in Holz den technisch bedingten Zufall mit einbezieht. Bei vorgegebener Grundidee entstehen Werke, die von der spontanen unmittelbaren Umsetzung zeugen und einen gewissen gestischen Aspekt ein-beziehen. Die Arbeitsweise und der Herstellungsvorgang bleiben dabei sichtbar - nicht nur die Spuren der Kettensäge, sondern auch die groben Verzapfungen -, so dass das Prozesshafte Teil des Werkes wird und dem Betrachter die ungeheure Kraft der Bearbeitung sowie die Eigenständigkeit der Materie in der künstlerischen Auseinandersetzung vermitteln soll. Diese vergegenständlichte Dynamik - die Rösner auch in seinen Kleinplastiken gelingt - erzeugt im Kontrast zu detaillierteren Formen und Strukturen eine plastische Spannung und Dramatik, die die Entwicklung und Bedingtheit des Materials ebenso sinnlich anschaulich machen wie den Energiekontrast. Rösner selbst spricht vom Wechsel-spiel zwischen männlich-aggressivem und weiblich-sensiblem Prinzip. Die gestischen Ansätze werden allerdings immer wieder durch disziplinierende Elemente und Arbeitsschritte in ein geordnetes Gefüge gebracht, so dass jede Figur Rösners auch architektonische Werte und Wirkung aufzuweisen hat. Das Mit- und Gegeneinander von expressiven Ausbrüchen und durchgestaltetem Aufbau, von freier dynamischer Kraftentwicklung und strenger Tektonik steigern in ihrer Differenz noch die Intensität der Aussage.

So lassen sich bei Rösner Form und Inhalt kaum trennen, auch wenn dies auf den ersten Blick möglich zu sein scheint. In dem unauflösbaren Zusammenspiel von Form und Inhalt schafft der Künstler unmittelbare Bezugssysteme, die direkte Verbindung zum Betrachter aufnehmen sollen. Die Skulptur hat zwar eine gezielte künstlerische Wirkung, doch so wie Rösner bei seinen Arbeiten nicht alles vorherbestimmt, so bevormundet er auch den Betrachter nicht. Die Wahrnehmung gerät auf diese Weise zu einer durchaus individuellen, da die vom Betrachter produzierten Empfindungen werkergänzend, aber nicht gesteuert und vorhersehbar sein sollen. Die somit sehr subjektive Rezeption benötigt daher einen unvoreingenommenen Betrachter; Rösner postuliert die Freiheit für den Betrachter. Damit meint er nicht eine wie auch immer geartete Beliebigkeit gegenüber seinen Werken, sondern die Unabhängigkeit des Rezipienten von einem einseitig orientierten, bisweilen dogmatisch vorgegebenen Kunstdiskurs. Er fordert also den mündigen Betrachter, der sich sein eigenes Bild macht. In diesem Sinne lohnt es, sich auf die Plastiken Christian Rösners einzulassen.

Andrea M. Kluxen

Text aus Katalog "Christian Rösner - Skulpturen"
erschienen 1999





Wenn ich ein Vöglein wär, Pappel gesägt, Höhe: 4,4 m